Nie das Gefühl, Azubine zu sein

Nie das Gefühl Azubine zu sein
Lisa Michels, Nina Parkash, Semija Rastoder und Valerie Arnold (von rechts) sind fertig. Fertig mit ihrer Lehre: Drei Jahre lang haben die vier jungen Frauen eine duale Ausbildung zur „Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk mit dem Schwerpunkt Bäckerei“ absolviert, dabei beim echten Bäcker während der praktischen Arbeit gelernt und parallel alle zwei Wochen jeweils zwei Tage lang die Schulbank gedrückt. Im August haben sie diesen Abschnitt ihres Berufslebens erfolgreich abgeschlossen. Darüber sprach mit Lisa, Nina, Valerie und Semija Uwe Schmalenbach.

Lisa, Nina, Valerie und Semija wollen auf jeden Fall beim echten Bäcker bleiben!

Muss man in eurem Beruf auch eine Abschlussprüfung machen?
Nina: Ja, wie die Bäcker.

Was wird da verlangt?
Lisa: Ein Verkaufsgespräch darstellen und verpacken zum Beispiel.
Nina: Wir mussten eine Frühstücksplatte anrichten für zwei Personen und den Tisch entsprechend eindecken. Das hat alles seine Richtlinien.

Worum geht es da?
Nina: Ob alles so liegt, wie es da liegen soll, alles zusammenpasst, schön aussieht, die Kaffeetasse richtig im 45-Grad-Winkel steht.
Lisa: Daneben mussten wir ein Schaufenster ausdekorieren, in den verschiedenen Höhen; erklären, warum wir die von uns benutzten Backwaren ausgewählt haben, warum wir welche
Körbe verwendet haben. Wir mussten uns da schon Gedanken machen und vorher gut planen.

Was hast du dir für dein Schaufenster überlegt?
Lisa: Das Thema war vorgegeben, „mediterrane Grillsaison“. Wir vier haben uns öfter getroffen, uns vorbereitet, abgesprochen, welche Backwaren aus unserem Sortiment wir verwenden wollen. Nach Feierabend haben wir alles mehrmals zur Probe aufgebaut.
Nina: Wir hatten ja alle vier dasselbe Thema, haben die Prüfung gemeinsam gemacht, aber jede bekam ihren eigenen Tisch und baute für sich auf.

Ist gut angekommen, was ihr gemacht habt?
Alle vier: Ja!

Was war noch zu zeigen?
Nina: Eine Torte anschneiden, die Deklarationen darlegen: Was muss drauf stehen und so.
Lisa: Ab wann ist ein Roggenmischbrot ein Roggenmischbrot? Die Lebensmittelleitsätze müssen wir können. Wie sind die Produkte verpackt, dass die Türe nicht aufgeht, wenn sie geschüttelt wird und Ähnliches mehr. Und eben dieses mega gestellte Verkaufsgespräch, vor dem wir alle nervös waren!

Warum seid ihr nervös gewesen? Die Situation hattet ihr vorher doch Tausende Male im „richtigen“ Leben.
Valerie: Ja, aber das ist das Besondere einer Prüfungssituation. Da kommen auch Fragen, die ein echter Kunde in dieser Art nie stellen würde.
Nina: Ich hatte im „Café 364“ am Bahnhof noch nie einen Kunden, der mich gefragt hat, wie viele Schokodrops in einem Schokobrötchen sein müssen! (lacht)

Bei jungen Leuten hat das Arbeiten in der Bäckerei offenbar keinen guten Ruf. Wieso habt ihr euch dennoch für diese Richtung entschieden?
Nina: Bei mir war es eher Zufall, ich war ganz offen, was ich als Ausbildung mache. Ich hatte vorher diverse andere Praktika gemacht und habe die Bäckerei Huth ebenfalls über eines kennengelernt.
Lisa: Ich bin auch über ein Praktikum reingerutscht. Ich habe mir die Bäckerei angeguckt und gemerkt, dass der familiäre Zusammenhalt im Team einfach stimmt. Wenn man auf die Arbeit kommt, fragen alle: „Wie war dein Tag? Geht es dir gut?“ Klar, man redet über die beruflichen Aufgaben, aber ebenso über Privates. Nach dem Praktikum habe ich deshalb wegen eines Ausbildungsplatzes gefragt.
Semija: Ich wollte schon immer in den Verkauf. Also habe ich eine Bewerbung geschickt, eine Woche zur Probe gearbeitet. Da gefiel mir der Job, und ich habe gedacht: „Ich versuche es.“ Und jetzt habe ich die Ausbildung fertig. (lächelt)
Valerie: Ich wollte eh immer mit Menschen zu tun haben. Da war das das Passende.

Der Beruf sagt euch zu, okay. Warum aber haben so viele andere in eurem Alter Vorbehalte?
Lisa: Viele unterschätzen den Beruf, stufen ihn fälschlich als „gering“ ein. Die sehen nur die Theke, übersehen aber die Hintergründe und die Basis; dass man aufbaut, abbaut, dass jeder Kunde individuell behandelt werden muss.
Nina: Dazu das Organisatorische, Bestellungen, Retouren, Inventuren.
Lisa: Oder wenn am Feiertag besonders viel los ist, dann muss man eben mal die Laufschuhe anziehen und sehen, dass interne Abläufe funktionieren.

Klingt nach viel Arbeit. Die hat euch nie abgeschreckt?
Lisa: Nee, man freut sich doch, wenn man das Ergebnis der Arbeit sieht.
Nina: Ich weiß noch: Ich war so stolz, als ich meine erste Frühschicht alleine hatte! Ich habe alles alleine eingeräumt und dekoriert. Das habe ich fotografiert und meiner Teamleiterin geschickt. Ich war so unendlich stolz auf mich – ich hätte den Tag feiern können!

Sind in eurer Berufsschulklasse alle so zufrieden gewesen? Oder wurden Unterschiede zu anderen Betrieben deutlich?
Alle vier: Ja.
Lisa: Viele haben erlebt, dass es eine „Mehrklassengesellschaft“ gab, sehr in Azubi – Aushilfe – Fachkraft unterschieden wurde. Wir wurden alle von Anfang an respektiert.
Nina: Ich hatte nie das Gefühl, die Azubine zu sein. Ich bin nie herablassend behandelt worden.
Lisa: Das – und es wurde einem nicht übel genommen, wenn Fehler passieren. Viele in der Klasse haben erzählt, dass sie nach Fehlern riesengroßen Ärger bekamen, es bis zum Chef ging. Das wird bei uns anders geklärt: Hier bekommt man Ratschläge, wie man es das nächste Mal besser machen kann. Man wird aber nicht niedergemacht.
Nina: Ich erinnere mich noch an eine „tolle“ Situation. Ich musste alleine das Bäckereifachgeschäft in der Westerwaldstraße aufmachen – und hatte verschlafen, und das nicht zu wenig. Ich hatte unterdessen schon etliche Anrufe in Abwesenheit auf meinem Handy, während ich noch schlief… Dann bin ich zur Arbeit gekommen, da waren bereits eine Kollegin und der Chef da und
hatten die Theke längst eingeräumt. Ich kam rein und habe direkt zu heulen angefangen, weil es mir leid tat. Und mein Chef stand vor mir, hat gelacht: „Och, das kann passieren, ist doch nicht schlimm.“ Also das ist schon echt cool!

Euch gefällt es nach den drei Jahren Ausbildungszeit also weiterhin beim echte Bäcker?
Lisa: Ja. Es ist auch so, dass sogar neue Freundschaften über die Bäckerei geschlossen werden. Wir gehen in der Freizeit miteinander weg.
Nina: Naja, und fachlich ist es eben auch toll. Lisa, Semija und ich konnten zum Beispiel zusätzlich zur „offiziellen“ Ausbildung ein Seminar besuchen (Anm. d. Red.: Valerie war zu dem Zeitpunkt noch nicht beim echten Bäcker, da sie ihre Ausbildung zunächst in einem anderen Betrieb begonnen hatte), in Weinheim, an der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk. Das haben wir vom Chef geschenkt bekommen!

Was war das für eine Seminar?
Nina: Ein „Elite-Seminar für Top-Lehrlinge“.
Lisa: Da ging es um Dinge wie Stressbewältigung, wie besonders gut auf den Kunden eingehen und Ähnliches.

Nachdem ihr nun die Ausbildung hinter euch habt: Wollt ihr weiter in der Berufssparte bleiben?
Alle vier: Auf jeden Fall!

Auch beim echten Bäcker?
Nina: Ich habe in mein Berichtsheft als letzten Eintrag geschrieben, dass ich sehr stolz bin, „zur Familie“ zu gehören. Wir sind eine Familie, kennen uns alle, es gibt kein Sie, es gibt nur „du“, und es gibt kein Ich, sondern nur Wir. Ich finde es schön, weiterhin ein Teil der Huth-Familie sein zu dürfen. Ich würde auch meine Ausbildung immer wieder hier machen – weil ich einfach mit offenen Armen empfangen wurde, super freundlich; und weil einem Fehler nicht nachgetragen werden.

Nie das Gefühl, Azubine zu sein
Die vier Fachverkäuferinnen abends unterwegs in Limburg: Teil der heiteren Huth- Familie zu sein, die auch in der Freizeit etwas zusammen unternimmt, schätzen sie sehr.

Hat sich durch die Ausbildungszeit in eurem Privatleben noch mehr verändert, außer, dass ihr neue Freundinnen gefunden habt?
Nina: Ja, dass ich sehr pingelig geworden bin, was meine Essgewohnheiten angeht. Vorher habe ich mich nicht so mit Lebensmitteln beschäftigt. Was ist drin? Wo kommen sie her? Wie werden sie verarbeitet? Die Wichtigkeit solcher Fragen ist mir durch die Ausbildung bewusst geworden.
Lisa: Ich gucke heute eben auch bei Obst und Gemüse und nicht nur bei Backwaren: Wo kommt es her? Ich kaufe, was aus der Region stammt, weil man die heimischen Erzeuger fördert, wie es die Bäckerei Huth auch tut.

Wie denkt euer Freundeskreis über eure Arbeit?
Nina: Die glauben, hinter der Theke stehen und ein paar Brötchen verkaufen – das sei es. Es ist den meisten nicht klar, dass da so viel dahintersteckt; Papierkram, Zahlen. Zudem kann ich durch den veränderten Umgang mit Lebensmitteln mir und anderen etwas Gutes tun – weil ich einfach darüber Bescheid weiß. Außerdem muss man nicht „nur“ Bäckereifachverkäuferin bleiben. Man hat die Möglichkeit, sich weiterzubilden – es gibt noch etliche Seminare, die wir dranhängen können. Wir können die Leitung eines Fachgeschäftes übernehmen, die Betriebswirtin erlangen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aufzusteigen.

Aber verstehe ich euch richtig: Was euch antreibt, ist nicht allein die eigentliche Tätigkeit, sondern eben genauso das „Drumherum“?
Nina: Ja, es ist wirklich auch das Arbeitsklima.
Lisa: Wir haben Vertrauen zueinander, trösten uns, wenn jemand mal Kummer hat – so ist es herrlich.
Nina: Und das merken natürlich auch die Kunden. „Och, hier ist ja eine Bomben-Stimmung“: das hören wir häufiger. Und die Kunden machen dann mit! Genauso sollte es sein, finde ich.
Semija: Bei uns in Hadamar, wo ich im Huth-Bäckereifachgeschäft arbeite, ist es ebenso. Unsere Teamleiterin Tanja Merkel bringt mal ein Eis für alle mit, und sie kümmert sich darum, ob ich gut nach Hause komme, wenn ich Spätschicht arbeite.

Was heißt „Die Kunden machen mit“?
Nina: Wir haben im „Café 364“ zum Beispiel einen Stammkunden, der gibt seine Bestellung grundsätzlich telefonisch durch. Und da wir der echte Bäcker sind, meldet er sich stets mit: „Hier ist der echte Kunde!“ (lacht) Das finde ich ganz gut.

War für euch immer klar, dass ihr nach Ende der Ausbildung auch eine Stelle bekommt?
Nina: Also ich wollte mit Sascha Huth einen Termin machen, um zu klären, wie es nach der Ausbildung weitergeht. Er hat mich nur gefragt: „Müssen wir da noch drüber reden?“
Valerie, Semija und Lisa: Bei uns war das auch so!

Text und Bilder von Uwe Schmallenbach.