Ein wichtiges Zahnrad

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Nico Richter in seinem Element

Versandleiter Nico Richter hilft, dass morgens Frühstücksbrötchen auf den Tisch kommen.

Es ist kurz nach zwei in der Nacht, Nico Richter schaut zur Uhr und sagt: „So, nun kann ich anfangen mit Sahne.“

Mit „Sahne“ bezeichnet der Versandleiter der Bäckerei Huth jene Köstlichkeiten aus Backstube und Konditorei, die beim Packen und Transportieren in die Bäckereifachgeschäfte anders gehandhabt werden müssen als „Hüthchen“ oder „Junggesellenbrote“. Beispielsweise dürfen sie nicht zu warm werden, weshalb Nico Richter als erstes große, blaue Kälteakkus aus dem Kühlhaus holt und in orange Plastikkörbe legt. So werden „Tante Annas Bienenstich“ und die Zitronen-Sahne-Rolle, die der Versandleiter hineinsetzen möchte, bei einer die Qualität schützenden Temperatur befördert.

Eigentlich stammt Nico Richter aus Ostdeutschland, wurde in Großenhain bei Dresden geboren, doch das hört man an seinem Dialekt überhaupt nicht mehr. Nach einer Zwischenstation im thüringischen Apolda kam er 1993 mit achteinhalb Jahren „in den Westen“. Der Vater hatte zuvor in Wetzlar eine lukrative Beschäftigung angenommen. Die Familie wollte nicht auf Dauer getrennt sein, zog hinterher. Seit der dritten Klasse lebt Richter daher in Hessen, „babbelt“ auch so und wohnt aktuell in Braunfels. Und klar: Der Versandleiter ist glühender Eintracht-Fan!

Am Anfang seines Berufslebens stand eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Eineinhalb Jahre arbeitete Nico Richter in dem Beruf, danach folgte der Zivildienst. Im Anschluss daran wollte er sich noch weiter qualifizieren; in Weilburg schloss er ein BWL-Studium mit der Fachrichtung Franchising an.
Doch für ihn sei praktische Arbeit ein wichtiger Faktor, hebt Nico Richter hervor. „Und natürlich der Kontakt mit Menschen! Mit Leuten wie Martin Wingenbach zusammenzuarbeiten (Anm. d. Red.: Gemeint ist der Backstubenleiter des echten Bäckers Huth), ist ein großer Spaßfaktor!“ Und Spaß sei einer der Hauptgründe, warum Nico Richter gerne in seinem derzeitigen Job tätig ist.
Bevor er diesen antrat, hatte er jedoch den Posten des Lagerleiters bei der Firma „MODUL SYSTEM“ inne, deren Hauptsitz sich ebenfalls in Limburg befindet und die Fahrzeugeinrichtungen herstellt. Doch da sah er eines Tages keine Zukunft für sich, er fand ein Stellenangebot der Bäckerei Huth und bewarb sich – erfolgreich.

Zweieinhalb Jahre ist das nun her. Seither ist Nico Richter als Versandleiter zuständig für die Tourenpläne, nach denen jede Nacht vier Fahrer unterwegs sind, um 19 Bäckereifachgeschäfte mit „Pierres“ oder „Dinkelprinzen“ auszustatten. Daneben kümmert er sich um den Fuhrpark, schaut, dass die Reifen okay und die Wartungsintervalle eingehalten sind. Denn die Transporter sind enorm wichtig als „Verbindung“ zwischen Backwarentheken und Brotregalen sowie den Backöfen am Schlag in Limburg.

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Die frischen Backwaren werden in die Fachgeschäfte transportiert.

Es ist eine eigentümliche Kulisse: Nico Richter und drei Kollegen laufen eiligen Schrittes in einem Meer aus orangen Körben umher. Bis zu zwölf stapeln er und die anderen Versandarbeiter übereinander und bewegen sie auf „Rollis“. Enorm, wie geschickt das passiert, ohne, dass ein einziger Korb herunter- oder ein Stapel umfallen würde! Mit den Körben bilden Nico Richter und die Kollegen „Türm-chen“ unter sonderbaren Leuchtanzeigen: In Orange, Rot, Gelb und Grün blinken darauf immer wieder unterschiedliche LED-Ziffern auf. „Anhand dieser Anzeigen werden die bestellten Mengen für jeden Artikel und jedes Fachgeschäft angezeigt“, erklärt der Versandleiter. „Daran können wir sehen, in welchen Korb für welches Fachgeschäft wir wie viele Exemplare von einem Produkt einpacken müssen, damit unsere Kolleginnen im Verkauf die benötigten Mengen für ihre Kunden vor Ort verfügbar haben.“

Bestellung
Dieses „Pick-by-Light-System“ werde von einer Software im Huth-internen Bestellsystem gespeist. Allerdings sind zuweilen Korrekturen erforderlich, etwa, wenn ein Bäckereifachgeschäft nötige Mindestbestellmengen unterschritten hat oder von einem Produkt nicht genug Stücke gebacken werden konten. Dann saust Nico Richter mit den Fingern in ebenso unglaublicher Geschwindigkeit über einen „Touch-Screen“ und passt – mit viel Erfahrung darüber, was in welchem Fachgeschäft passiert – die Mengen manuell an. Die orangen, gelben, grünen und roten Lämpchen zeigen daraufhin sofort veränderte Stückzahlen an.

„Jetzt setzen wir Feinback“, murmelt Richter, stellt unter jede der Anzeigen einen weiteren leeren Korb, legt einen Bogen Backpapier hinein, und Kollegin Jurgita bringt Bleche mit dem nächsten Produkt, das nebenan in der Backstube frisch aus dem Ofen geholt worden ist: Franzbrötchen.
„Ich finde die Arbeit schön, sie ist sehr abwechslungsreich“, betont Nico Richter nach vielen weiteren Produkten und wechselnden LED-Anzeigen, als er zwei Stunden später mit einem Transporter auf dem Weg zum ersten Bäckereifachgeschäft ist, das er mit Ware ausstattet. Das „Dippsche“ liegt als erste Station auf seiner Tour, es folgen das Fachgeschäft in Hadamar, das Hotel Martin, das Backwa-ren fürs Frühstück seiner Gäste bekommt, das „B-Café“, die Arbeiterwohlfahrt, weitere Bäckereifachgeschäfte in Diez und Altendiez oder das „Wilhelms“.

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Um Mitternacht wird alles für den Transport vorbereitet.

Organisation
Jede Nacht fährt der Versandleiter dieselbe Tour, wenn das „Kommissionieren“ der Produkte im Betrieb erledigt ist. „Wenn ich meine Frau nicht hätte, könnte ich den Job nicht machen“, sagt Nico Richter nachdenklich und setzt den Blinker rechts zum Parkplatz des REWE Hadamar. Denn das Ehepaar hat eine fünfjährige Tochter, da ist eine gute Organisation der Kinderbetreuung und anderer Familienaufgaben unerlässlich, wenn sich die Arbeitszeiten der Partner sehr unterscheiden. So holt Nico Richter Tochter Emma nach der Arbeit vom Kindergarten ab und betreut sie. Sich für die nächste Nachtschicht ausschlafen tut er dann, wenn seine Frau am späteren Nachmittag daheim ist und übernimmt.

In manchen Nächten muss der Wahlhesse jetzt im Winter erst die Scheiben des Transporters vom Eis freikratzen. Dennoch liebt er die kalte Jahreszeit, wie er schildert: „Gib mir Schnee, gib mir Berge – dann bin ich glücklich!“ Snowboarden im sauerländischen Winterberg etwa sei eine seiner liebsten Freizeit- und Urlaubsbeschäftigungen, bei denen er sich von der Arbeit als Versand-leiter bevorzugt erholt. Im vergangenen Sommer hat Richter zudem das „Wakeboard“ für sich entdeckt, so dass er auch ohne Schnee auf einem Brett unter den Füßen durch die Gegend sausen kann.

Enttäuschung
Aber an diesem frühen Morgen muss er noch mit seinem Transporter in die Rosenstraße in Diez: Auch das dortige Bäckereifachgeschäft soll vor Ladenöffnung pünktlich seine Bestellung erhalten. „Das Schöne an dieser Arbeit ist“, wirft der Versandleiter auf dem Weg nach Diez ein, „zu wissen: Du bist ein wichtiges Zahnrad im ganzen Getriebe!“ Eines, ohne das wohl jeden Morgen viele Menschen zwischen Hadamar und Idstein enttäuscht wären, dass die Brotregale leer bleiben, sie kein frisches Frühstücksbrötchen auf den Tisch und keinen stärkenden Snack für die Mittagspause in einem der Huth-Bäckereifachgeschäfte bekommen könnten. Oder um es mit Nicos Worten zu beschreiben: „Ohne Versand können die Bäcker so viel backen wie sie wollen – aber die Produkte kommen dann nicht in den Laden.“