„Ich habe nie Langeweile!“

Brote im Regal arrangieren, das üppige Kuchensortiment in der Theke hübsch anrichten, zwischendurch schnell die frischgebackenen Brötchen aus dem Ofen holen, Kunden bei ihrem Kauf beraten, kassieren – und dann, wenn gerade niemand bedient werden möchte, zum Putztuch greifen: „Mir ist es ganz wichtig, dass der Laden schön sauber ist“, erklärt Verkäuferin Vera Niebisch lächelnd. Schließlich solle sich jeder im „Dippsche“ wohlfühlen.

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„Mein Slogan war schon seit jeher: Ich kann meine Brötchen immer selbst verdienen!“

Staffel
Wenn man der 59-Jährigen bei der Arbeit zusieht, kann man sich kaum vorstellen, dass die in Weilburg Lebende erst seit wenigen Monaten in diesem Beruf arbeitet, den sie so souverän und vergnügt ausübt. Im Januar stieß sie zum Huth-Team und ist mittlerweile hauptsächlich in dem Bäckereifachgeschäft in Limburg-Staffel tätig.

Niedersachsen
„Gelernt habe ich eigentlich Rechtsanwalts- und Notargehilfin“, erzählt Vera Niebisch. Gebürtig aus Bochum stammend, zog sie als junge Frau nach Niedersachsen. In einer Kanzlei im Landkreis Hameln-Pyrmont schloss sie die Lehre ab und war dort insgesamt zehn Jahre tätig. Eine symbolträchtige Zahl. Denn Zehn-Jahres-Schritte ziehen sich fast durch Niebischs ganzes bisheriges Arbeitsleben, wie die Verkäuferin schmunzelnd beschreibt.
„Ich habe mir damals gesagt: Wenn ich zehn Jahre in einem Betrieb war, dann will ich etwas Neues ausprobieren. Den Horizont zu erweitern, fand ich immer schon ganz wichtig.“ Nach der Kanzlei ging es daher als Sekretärin ins Büro des Kurdirektors von Bad Pyrmont. Zudem schloss die gebürtige Ruhrpottlerin eine Weiterbildung zur Gesundheitsberaterin ab und betreute Kurgäste.

Stadtsparkasse
Und ehe sie sich versah, war erneut ein Jahrzehnt vergangen. In Vera Niebisch kam abermals der Wunsch auf, sich beruflich zu verändern. Ihre nächste „Station“ sollte die Stadtsparkasse in Bad Pyrmont werden. „Ich habe dort Verwaltungsarbeiten gemacht, Sitzungen vorbereitet oder Protokolle geführt. Man lernt viele Menschen kennen und auch ihre Hintergründe“, sinniert die 59-Jährige über die damalige Beschäftigung.

Etwa „25 bis 30 Jahre“ habe sie in Bad Pyrmont gelebt, ehe es sie zurück nach Nordrhein-Westfalen zog. In Ratingen, einer Nachbarstadt Düsseldorfs, nahm sie eine Anstellung in einem großen Unternehmen an, das Abrechnungen für Krankenkassen erstellt. „Ein Betrieb mit 3.000 Mitarbeitern! Das war natürlich gigantisch und etwas ganz Neues für mich.“
Ihren Weg nach Limburg fand die freundliche Huth-Mitarbeiterin dann vor drei Jahren – und zwar durch einen puren Zufall! „Ich hatte eine E-Mail an die Polizei in Ratingen geschrieben. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, es war nichts Wichtiges. Aber ich muss irgendetwas falsch eingegeben haben – und plötzlich landete meine Mail bei der Polizei in Limburg.“ Der Beamte, den die Nachricht in der Lahnstadt erreichte, nahm sich des Anliegens aus dem „fernen“ Ratingen gerne an und versuchte, Vera Niebisch am Telefon behilflich zu sein. Da sie sich sofort sympathisch gewesen seien, lernten sie sich schließlich näher kennen, schildert Vera Niebisch versonnen. „Und heute ist er mein Lebensgefährte.“

Hasselbach
Zu Beginn ihrer Beziehung pendelte sie noch zwischen Ratingen und Limburg, doch ein Jahr später verließ die Lebenslustige ihr Heimatbundesland endgültig und zog mit ihrem Partner nach Weilburg. Dort leben die beiden in einem gemeinsamen Haus im Stadtteil Hasselbach. Natürlich gehörte für Vera Niebisch zu dem Neuanfang auch, sich sofort eine sinnvolle Beschäftigung zu suchen. Die Arbeit, sagt die Aktive, habe für sie einen ganz großen Stellenwert.

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Die aktuelle Corona-Situation trübt die gute Laune der Verkäuferin keines-wegs: „Ich stehe Veränderungen immer aufgeschlossen gegenüber. Denn ich finde, jede hat auch etwas Positives.“

Stammkundin
War sie in ihrer Anfangszeit in Weilburg noch in der örtlichen Sparkasse und später bei einer Versicherung in Elz tätig, setzte sich vor einigen Monaten abermals Vera Niebischs Entdeckergeist durch: Als überzeugte Stammkundin der Bäckerei Huth überkam sie bei vielen Besuchen im „Dippsche“ und anderen Fachgeschäften des Traditionsunternehmens der Wissensdurst. Denn worüber sich der durchschnittliche Kunde wohl nie Gedanken macht, weckte auf Anhieb Niebischs Neugier: „Ich wollte immer wissen, wie es eigentlich hinter der Theke aussieht. Wie kommt das Brot ins Regal? Wieso liegt dieses Produkt am Vormittag da und am Nachmittag dort? Wie macht man diesen tollen Kaffee mit dieser riesigen Maschine? Das fand ich alles spannend!“

Schnellausbildung
„Ich schrieb daher die Bäckerei Huth an, erklärte, dass ich Quereinsteigerin sein möchte und gerne den Betrieb kennenlernen würde.“ Und Vera Niebisch erhielt die ersehnte Chance. Nach einem Praktikumstag bei Kollegin Mücahide Topuz im Idsteiner „Café Ungrad“ wurde sie im Bäckereifachgeschäft in der Limburger Werner-Senger-Straße eingearbeitet. „Dort habe ich sozusagen meine ,Schnellausbildung‘ gemacht“, lacht Vera Niebisch. „Ich habe mich sehr wohlgefühlt. Und ich habe gleich mitgeteilt, dass ich auch gerne ,Springer‘ wäre, also in verschiedenen Fachgeschäften arbeiten würde. Das finde ich sehr bereichernd.“
Sie habe sich von Beginn an mit den Produkten und der Philosophie der Bäckerei Huth identifizieren können. „Mir bekamen die Backwaren schon als Kundin immer sehr gut, weil sie keine chemischen Zusatzstoffe enthalten. Da habe ich direkt gedacht: ,Oh, du kriegst gar keine Bauchschmerzen mehr.‘ Ich wollte unbedingt bei so einem Betrieb arbeiten, bei dem komplett auf Convenience verzichtet wird. Da ist Huth in der Gegend einfach vorprogrammiert.“

Bereut habe sie den Schritt, noch einmal ganz neu anzufangen, nicht. Im Gegenteil: „Es bereitet mir richtig Spaß hier. Ich mache wirklich gerne, was ich tue.“ Generell habe sie nie den „Sprung ins Ungewisse“ gescheut: „Ich denke, man sollte immer aufgeschlossen durchs Leben gehen. Und angstfrei – das ist ganz wichtig.“ Ihren Zehn-Jahre-Rhythmus nimmt Vera Niebisch heute allerdings natürlich nicht mehr so ernst. „Ich kann mir eigentlich alles vorstellen“, sagt sie. Doch nun, mit 59 Jahren, genieße sie es einfach, bei Huth angekommen zu sein.

Meditation
Privat singt die Verkäuferin in einem Chor in Weilburg, kocht und liest viel, liebt die Gartenarbeit, Spaziergänge in der Natur und Zusammenkünfte mit ihrer großen Familie. „Ich habe nie Langeweile“, zwinkert sie. Selbst Stress und Hektik können sie nicht so schnell aus der Fassung bringen: „Ich mache Yoga und Meditation. Ich atme einmal durch, und dann geht es weiter.“
Als ausgebildete Hospiz- und Sterbebegleiterin engagiert sich die Weilburgerin zudem im „Hospizdienste Limburg e.V.“, begleitet Menschen in ihrer letzten Lebensphase. „Das erfüllt mich sehr.“ Sich mit den Wünschen anderer Personen auseinanderzusetzen und sich auf Menschen einlassen zu können, ist etwas, das sie an ihrem neuen Job als Verkäuferin ebenso schätzt. „Ich versuche immer, mit Kunden im Gespräch zu bleiben, den anderen kennenzulernen.“ Auf diese Weise entstünden „Bausteine“: „Alles, was von einem anderen Menschen hängen bleibt. So, dass ich einen Kunden auch mal ehrlich fragen kann: ,Geht es Ihrer Mutter wieder besser?‘ So etwas finde ich schön.“

Überzeugung
Ihre Arbeit beim echten Bäcker Huth übe sie daher „mit viel Freude und Überzeugung“ aus. „Sie tut mir richtig gut und bereitet mir Spaß. Und es macht mich in gewisser Hinsicht auch stolz, in einem so traditionsreichen Familienbetrieb mitzuarbeiten.“ Sie könne sich vorstellen, als Rentnerin weiterhin in der Traditionsbäckerei auszuhelfen. Nichts zu tun, liege ihr eben einfach nicht. „Meine Mutter hat schon immer gesagt: ,Stillstand ist Rückgang‘“, lacht Vera Niebisch. „Ich finde, da ist viel Wahres dran!“
Text: Andra de Wit