Die Multi-Kulti-Backstube

Im Limburger Handwerksbetrieb arbeiten Menschen aus insgesamt sechs Nationen

Esayas Sultan Abraham in der Backstube.

Würde man sich einmal die Mühe machen und vor dem Gebäude der Huthschen Backstube am Schlag in Limburg Flaggen hissen, um zu verdeutlichen, wie viele verschiedene Nationalitäten hier beschäftigt sind, wäre dies ein wahres Farbenspiel. Neben der deutschen würden die Fahnen Jordaniens, Indonesiens, Polens, Albaniens und die Eritreas im Wind wehen. 18 Mitarbeiter aus fünf Nationen sind hier mit den gebürtigen Deutschen fleißig.

Esayas Sultan Abraham hat schon einiges hinter sich. Der Flüchtling ist noch recht neu im Huth-Team. Genau wie sein Kollege Emrih Rebaj. Emrih kommt aus Albanien. Der junge Mann macht bei Dominique und Sascha Huth eine Ausbildung zum Bäcker, er ist im ersten Lehrjahr. Emrih spricht schon wahnsinnig gut Deutsch, bedenkt man, dass er erst im April 2015 nach Deutschland kam.

Für ihn und seinen Bruder war ein Leben in ihrer Heimat Albanien nicht mehr vorstellbar. Zu groß war die wirtschaftliche Not. Doch das Paradies fanden die beiden – entgegen ihrer idealisierten Vorstellung – in Deutschland wahrlich nicht vor. Emrih kam zunächst in eine Flüchtlingsunterkunft in Gießen, von dort ging es ein halbes Jahr später weiter nach Weilburg.

„Emrih kann ein sehr guter Bäcker werden“

Den Weg zu Huth findet der 20-Jährige schließlich durch seinen Betreuer, der Verbindungen zum echten Bäcker hat. Backstubenleiter Martin Wingenbach ist überzeugt von Emrihs Arbeit. „Er ist in der Berliner-Saison zu uns gekommen. Ich habe ihm ein paar Handgriffe gezeigt, und er war selbst in der Lage, sich zu optimieren und schneller zu werden. Man muss ihm nicht sagen, mach‘ es mal anders, dann wird es schneller. Er hat wirklich Talent. Bei ihm sehe ich, dass er nicht nur Bäcker, sondern ein sehr guter Bäcker werden kann.“

Esayas Sultan Abraham möchte Bäcker werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Alexander Aiberspach zeigt ihm, wie das Dekor auf die Brote gesiebt wird. Fotos: Schmalenbach

Eine Tortur von Eritrea über Äthiopien, den Sudan und Libyen nach Deutschland
Während Emrih gerade in der Anfangszeit in Deutschland noch mit dem Gedanken spielte, wieder zurückzugehen, hat es für Esayas, den alle nur Esu nennen, diese Option nie gegeben. Er absolviert in der Backstube zurzeit ein Langzeitpraktikum. Wenn alles gut läuft, so Martin Wingenbach, startet Esu im August eine Ausbildung beim echten Bäcker. Und das möchte der Flüchtling auch unbedingt: Bäcker werden. Esu kommt aus Eritrea, einem der ärmsten Länder der Welt. Aus Eritrea fliehen die Menschen aus Angst vor Folter und Knechtschaft durch das autoritäre Regime, viele junge Männer fürchten sich vor einem zwangsweisen Einsatz beim Militär.

2010 begibt Esu sich auf den Weg, lebt zunächst – bis 2014 – in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien. Doch hier leidet er Hunger, sieht keine Perspektive. Er schlägt sich von dort in den Sudan, wo er wegen eines fehlenden Passes für vier Monate ins Gefängnis geworfen wird, dann nach Libyen durch. 700 Dollar musste Esu für seine Freilassung aus dem Knast bezahlen. Schon geht einem – nicht zum ersten Mal während des Gesprächs mit dem 22-Jährigen übrigens – durch den Kopf, wie gut wir es hier in Deutschland haben. Erst recht, wenn Esu seine Geschichte zuende erzählt: von Libyen aus schippert er auf einem Boot mit 300 anderen Menschen über das Mittelmeer ans europäische Festland. Während der Fahrt versterben 30 Passagiere. Sie verhungern. Ein traumatisches Erlebnis für den jungen Mann. Im Dezember 2015 kommt er in München an.

Eine neue Situation für alle Beteiligten
Esu ist glücklich, nach seiner Odyssee, nach sieben Monaten Sprachkurs und etlichen Behördengängen nun als Langzeitpraktikant beim echten Bäcker gelandet zu sein. Und das Team gibt ihm ebenso ein gutes Gefühl, wenn auch die Anfänge etwas Abstimmung erforderten. Denn nicht nur für Emrih und Esu änderte sich das Leben durch ihre Flucht komplett, die alteingessenen Backstuben-Mitarbeiter mussten sich bei der Arbeit ebenso umgewöhnen.

Backstubenleiter Martin Wingenbach ist sichtlich
stolz auf Esu und Emrih (von links).

„Unseren saloppen Umgangston haben wir schon überdacht“, schmunzelt Martin Wingenbach. Einstweilen rutsche dem ein oder anderen mal ein Spruch raus, der einen schwarzen Mitarbeiter verletzen könnte. Darüber habe man aber im Team und mit den Neulingen gesprochen und war sich schnell einig: Die Flüchtlinge möchten dazugehören und sich nicht anders oder mit Vorsicht behandelt wissen! Gerade durch einen allzu peniblen Sprachgebrauch werde die andere Hautfarbe erst recht zum Thema. Gebrochen war das Eis, als Wingenbach den Spitznamen des neuen Mannes aus Eritrea erfuhr, den dieser sich selbst gegeben hatte: „Esu Schwarz Mann.“ Das sorgte für ordentlich Gelächter in der Mannschaft: Wie schön, mit welcher Selbstironie Esu mit dem Nationalitätenunterschied umgeht.

Geschichten wie aus einem Buch
Leider ist das nicht immer so. Traurig wird der Mann, der mit 30 toten Menschen in einem Boot nach Deutschland kam und seine Familie vielleicht nie wieder sehen wird, wenn er erzählt, dass er vor allem von jüngeren Deutschen nicht so herzlich aufgenommen wurde, wie er es sich gewünscht hat. Martin Wingenbach kann nur mit dem Kopf schütteln: „Ich alte deutsche Kartoffel merke jetzt erst, wie gut ich es habe. Wenn Esu neben dir steht und seine Geschichte erzählt, hört sich das so unwirklich an, da denkst du, er liest dir aus einem Buch vor.“ Solche Geschichten sind nun allerdings öfter zu hören in der „MultiKulti-Backstube“ in Limburg.