Wer hat einen guten Ruf? – Im fernen Marokko wählt Noureddine El Mouhib gezielt den echten Bäcker aus

Also Apfelkuchen kenne er aus Marokko nicht, das Wort sei für ihn anfangs ebenfalls komplett fremd gewesen, schüttelt Noureddine El Mouhib den Kopf – während er in der Konditorei des echten Bäckers Huth Münchner Apfelkuchen zubereitet. Seit Oktober 2022 ist hier sein Arbeitsplatz, beziehungsweise seine Ausbildungsstätte. Denn der 25-Jährige möchte, nachdem er eine Konditorlehre bereits in seiner Heimat erfolgreich absolviert hat, in Deutschland noch viel mehr lernen übers „süße Handwerk“ und hat darum in Limburg eine Lehre zum Konditorgesellen begonnen.

Es ist schon ein mutiger Schritt: Niemals zuvor war Noureddine El Mouhib je im Ausland. Der Sohn eines Lkw-Fahrers erzählt, dass ebenso wenig jemand aus seiner Familie vor ihm in Deutschland gewesen sei. Zudem taten sich seine Eltern und drei Geschwister anfangs schwer mit dem Gedanken, dass der Sohn und Bruder den Kontinent verlässt, dauerhaft fort ist.

Aussprache

Dennoch wagte er diese immense Veränderung in seinem Leben: Im Internet informierte sich der 25-Jährige, der aus der Großstadt Oujda stammt, wie es fürihn möglich werden könnte, in Deutschland eine Ausbildung aufzunehmen. „Als erstes muss man Deutsch lernen!“, unterstreicht er. Noureddine erwarb bereits in seiner Heimat das B1-Niveau. Fast verlegen schiebt er, in ordentlichem Deutsch, nach: „Meine Sprache ist nicht so gut“ – und meint seine Aussprache, die jedoch trotz leicht französisch anmutenden Akzentes erheblich leichter zu verstehen ist, als wenn Hessen so richtig „babbeln“…
Klar, in Marokko sind Marokkanisch und Französisch Amtssprache, wobei Noureddine beschreibt, dass Marokkanisch im Grunde Arabisch sei, doch das Arabisch seiner Heimat deutlich von demjenigen abweiche, das in anderen Teilen der Welt gesprochen wird.
Ebenfalls unterscheide sich selbstverständlich das in Marokko erlernte deutsche Vokabular von den Fachbegriffen, die man als Konditor benötigt – und die nicht Bestandteil seiner Sprachkurse gewesen seien, lacht Noureddine: „In der Schule lernt man nicht Begriffe wie ‚Brandmasse‘, ‚Mürbeteig‘ und ‚Kuppeltorte‘,sondern ‚Autobahn‘ oder ‚guten Abend‘.“
Aber wie kommt jemand dann im drei Flugstunden entfernten Nordafrika auf die Idee, sein Land zu verlassen – und ausgerechnet nach Westhessen, an die Lahn zu ziehen? „Ich habe mich im Internet informiert, gesucht: Welche Firma in Deutschland hat einen guten Ruf? Und ich habe die Bäckerei Huth gefunden.“ Daraufhin habe er eine E-Mail geschrieben und seine Dokumente übermittelt, erläutert der Marokkaner. „Das war im Juni letzten Jahres“, erinnert er sich, „und ich habe nach wenigen Tagen eine Antwort bekommen, dass ich bereits eine Woche später einen Vertrag erhalten würde.“
Allerdings stand anschließend das Thema Visum im Raum: Einerseits ein arbeitswilliger junger Mann, der den deutschen Arbeitsmarkt, der dringend zusätzliche, qualifizierte Fachkräfte braucht, bereichern möchte, andererseits ein Unternehmen, das jungen Menschen eine Chance gibt, sich beruflich erstklassig zu qualifizieren (siehe auch Seite 2) – für die benötigte Einreise- und Aufenthaltserlaubnis sollte indessen ein Jahr Frist verstreichen, ehe sie erteilt werden würde… „Doch dann fand ich eine Möglichkeit“, fährt Noureddine fort, „das sogenannte ‚beschleunigte Verfahren‘. Das dauert nur einen Monat, und man kann das Visum hier in Deutschland schneller erhalten.“
Mit dem Visum in der Hand buchte er kurzerhand ein Flugticket, verließ Oujda „und so war ich in Limburg – ohne Familie, ohne Bekannte“, lacht Noureddine. Anfangs wohnte der angehende Konditor in einem Hotel, fünf Tage nach der Einreise fing er in der Konditorei der Bäckerei Huth an und bezog bald darauf auch eine eigene Wohnung. „Aber es ist ein bisschen schwer, in Deutschland eine Wohnung zu finden.“

Optionen

Der Azubi stammt aus Oujda, das unweit der Grenze zu Algerien liegt. Foto: adobe

Den Wunsch, nach Deutschland zu gehen und sein bereits erlerntes Handwerk dort noch einmal mit einer Lehre zu vertiefen, hatte Noureddine schon länger. „Wenn man in Deutschland eine Ausbildung gut abschließt, hat man so viele Optionen: Man kann anschließend seinen Konditormeister machen, vielleicht eine Konditorei leiten“, sagt er. In seiner marokkanischen Heimat seien diese Möglichkeiten erheblich geringer.
Dort gebe er zwar viele Konditoreien. „Hier in Deutschland kann man jedoch lernen, andere Produkte herzustellen, und man sammelt natürlich auchandere Erfahrungen als zu Hause.“ Das, und eben die vielfältigeren Zukunftschancen, seien der Grund, dass er nach Abschluss seiner Lehre gerne weiterhin in Deutschland arbeiten möchte. „In Marokko machen wir zu viele Torten und Törtchen, aber keine Kuchen wie hier.“ Etwas wie „Tante Annas Bienenstich“, ein besonders beliebtes Produkt des echten Bäckers Huth, gebe es nicht. Sahnetorten gleichwohl seien in dem gehörig heißeren Land durchaus üblich auf der Kaffeetafel, „so wiehier“, schildert der junge Handwerkslehrling, „aber es ist unterdessen wirklich viel wärmer – 42, 43 Grad sind normal.“
Und es gibt da noch einen wesentlichen Unterschied: Kuchen ist in Marokko nach Noureddines Darstellung sehr günstig – scheinbar. „Ein Stück kostet sechs Dirham, ungefähr 70 Cent“, erläutert er, dämpft jedoch die Euphorie über das vermeintlich geringe Preisniveau für süße Leckereien: Man verdiene in dem nordwestafrikanischen Land allerdings auch nur umgerechnet 3.000 Dirham. „Das sind etwa 300 Euro…“ Gleichwohl könne man damit in Marokko ganz gut leben, da eine Wohnung für 80 bis 90 Euro zu mieten, ein Kilo Kartoffeln für umgerechnet 30 Cent zu kaufen sei.
Angesprochen darauf, ob er mit Fremdenfeindlichkeit selbst Erfahrungen gesammelt habe, seit er im Oktober nach Hessen gekommen ist, verneint der Nordafrikaner und fügt hinzu: „Ich finde es normal, dass die Deutschen ablehnend reagieren, wenn jemand hierher kommt und Probleme macht! Und wenn man Probleme macht, ist es egal, ob man Deutscher ist oder eine andere Nationalität hat. Man sollte immer nett und freundlich zu allen sein.“
An seinem Arbeitsplatz seien auf jeden Fall absolut alle nett zu ihm. Zudem lerne man in der Bäckerei Huth jeden Tag etwas Neues. Vor einigen Tagen jedoch hat Noureddine dabei nicht Torten, Snacks und Kuchen für die Kunden des echten Bäckers bereitet, sondern Brot gebacken. „Denn wir machen als Azubis jeden Monat einen speziellen Übungstag, dabei kann man viel lernen. Diesen Monat mussten wir Brot backen – mit einem eigenen Rezept.“ Noureddine kreierte ein Brot in Form eines Tannenzapfens und zeigt ein beeindruckendes Foto davon. „Toll finde ich, dass man die Zutaten dafür nicht selbst kaufen muss, alles bekommen wir vom Betrieb. Gibt es das Produkt nicht standardmäßig im Betrieb, wird es für einen besorgt!“

Angeln

Wenn der Konditor-Azubi nicht in der Konditorei fleißig ist, mag er es, spazieren zu gehen, mit Freunden Kaffee trinken – aber vor allem sein Hobby Angeln. „Ich habe mich schon erkundigt, was man tun muss, um hier angeln zu dürfen. Man sagte mir, dass ich zunächst noch den Angelschein erwerben muss.“ Zu Hause hat Noureddine viel im Atlantik und im Mittelmeer geangelt, beide grenzen an sein Heimatland, seine Heimatstadt Oujda liegt nur ungefähr 60 Kilometer von der Küste entfernt.
Jetzt aber konzentriert sich der angehende Konditor noch einmal völlig auf den Münchner Apfelkuchen, schüttet Butterstreusel auf dessen Oberseite und verteilt sie ganz gleichmäßig darauf. Inzwischen weiß Noureddine El Mouhib nicht nur ganz genau, was ein Apfelkuchen ist, sondern ebenfalls, wie man ihn so perfekt hinbekommt, wie er selbst die anderen Produkte der Bäckerei Huth finde.