„Ich komme mit Freude her“

„Ich komme mit Freude her“
Huth-Mitarbeiterin Eva Amanetidou genießt den Umgang mit Menschen und Backwaren.

Für Eva Amanetidou hat ihre Arbeit als Verkäuferin im Bäckereifachgeschäft in Okriftel eine ganz besondere Bedeutung. „Brot ist gesegnet von Gott. Ich bin froh, dass ich es verkaufen und Kunden anbieten kann“, findet die Griechin. Gerne erinnert sie sich an ihre Oma, die das eigene Brot noch im heimischen Ofen gebacken hat. „Bevor sie es auf den Tisch brachte, hat sie es geküsst.“ Eine religiöse Geste. „Und das habe ich behalten.“ Schon bevor die Huth-Angestellte vor drei Jahren bei dem echten Bäcker angefangen hat, habe der Glaube ihr viel Kraft gegeben: „Denn ich hatte ein schwieriges Leben.“

„Gastarbeitern“ nach Eddersheim – unweit von ihrem heutigen Wohnort Okriftel – kam, war die aus der nordgriechischen Stadt Veria stammende Eva Amanetidou gerade einmal acht Jahre alt. Ihr Vater spornte sie schon früh dazu an, die deutsche Sprache zu lernen und an der Umsetzung ihrer Ziele zu arbeiten. Dafür ist sie ihm noch heute dankbar, schließlich sei aus ihr dadurch ein kämpferischer Mensch geworden: „Ich bin stark und habe keine Angst.“ Doch wie sehr ihre Eigeninitiative ihr späteres Leben beeinflussen sollte, ahnte sie damals noch nicht.

„Ich komme mit Freude her“
Von den Kollegen bei Huth und den Mitarbeitern im Rewe-Markt wird die Verkäuferin meist nur liebevoll „Unsere kleine Griechin“ genannt. Fotos: Schmalenbach

1975 kehrte sie 15-jährig in ihre Heimat zurück, gründete dort später eine Familie und begann ihre berufliche Laufbahn. Alles schien perfekt: „Ich hatte eine sehr gute Arbeit, ich war Sekretärin in einem Büro in Athen.“ Aber die immer grassierendere Wirtschaftskrise in Griechenland bekam sie schließlich persönlich zu spüren. Sie verlor ihre scheinbar sichere Anstellung in der Hauptstadt, war zwei Jahre lang arbeitslos. Doch dieses Leben wollte sie – mittlerweile alleinstehend – auf keinen Fall weiterführen. „Also habe ich mir gesagt: ,Nee, ich kann noch. Ich habe Kraft. Ich geh wieder nach Deutschland.‘“ So zog sie vor drei Jahren nach Okriftel.

Neuanfang

Hier musste sie allerdings noch einmal ganz von vorne beginnen. „Am Anfang war es schwierig für mich. Ich kam nach 40 Jahren wieder nach Deutschland. Das meiste hatte ich schon vergessen von der Sprache.“ Sich ein neues Leben aufzubauen, erschien zunächst fast aussichtslos. „Ich hatte keine Wohnung, war bei Verwandten, und habe erfolglos nach Arbeit gesucht.“ Doch aufgeben kam für die Griechin erneut nicht infrage. Sie ging nach Österreich, half in einem Hotel aus. Mit dem angesparten Geld kehrte sie zurück nach Okriftel. Als ihr eine Cousine dann von offenen Stellen bei der Bäckerei Huth erzählte, bewarb sie sich erfolgreich und mietete kurz darauf eine eigene Wohnung. „Und so hat alles geklappt“, erinnert sich die 58-Jährige noch heute voller Stolz.

Mit dem gleichen Ehrgeiz begann Amanetidou auch, die neuen, ungewohnten Aufgaben im Bäckereifachgeschäft kennenzulernen. Viel habe sie damals lesen und über die Zutaten lernen müssen. „Jeden Tag etwas“, berichtet sie lachend. Dieser innere Ansporn war eine Selbstverständlichkeit für sie: „Ich kann nicht arbeiten, wenn ich meine Arbeit nicht kenne. Wie soll ich sonst dem Kunden etwas verkaufen?“ Schließlich sei ihr der Mensch wichtig, der ihr vor der Theke gegenüber steht.

Kontakt

„Ich komme mit Freude her“
Ihre Arbeit führt die Okriftelerin mit viel Hingabe und Pflichtgefühl aus.

Darin liegt für die Mutter zweier erwachsener Kinder überhaupt die größte Erfüllung an ihrem Beruf. „Ich komme mit Freude her. Es ist so eine schöne Arbeit. Denn ich liebe es, mit Leuten zusammen zu sein. Wir haben auch viel Spaß miteinander“, hebt sie ihren Kontakt mit den Fans der Huth-Backwaren hervor. Die meisten kenne sie persönlich. Oft plaudere sie mit ihnen oder winke ihnen durchs Fenster zu. Aber über neue Kunden freue sie sich ebenso. „Die kommen dann auch wieder“, stellt Eva Amanetidou glücklich fest. Sie gehe gern in Okriftel unter Leute. Auch – oder gerade – unter Deutsche. „Ich habe mich niemals fremd hier gefühlt. Ich liebe die Menschen. Und die wissen und sehen das.“ Viele in Deutschland lebende Griechen zögen es vor, unter sich zu bleiben, merkt die Huth-Mitarbeiterin nachdenklich an. „Die öffnen sich nicht, sind hängen geblieben. Aber ich mag das nicht. Ich will viele Erfahrungen. Ich möchte viel wissen über Deutsche und auch über andere Länder.“

Dies sei eine einzigartige Chance, sich selbst zu entwickeln. In ihrer Heimat sei die Krise derweil noch immer allgegenwärtig. Zuversichtlich ist die 58- Jährige nicht. „Das wird nichts mehr“, ist ihre ernüchterte Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage Griechenlands. Sowohl ihre 40-jährige Tochter als auch ihr 36-jähriger Sohn sind – wie sie selbst vormals – Opfer dieser Situation geworden. Beide können keine Arbeit finden. „Ich helfe ihnen finanziell“, sagt die Verkäuferin. Doch so wie sie sich einst als „Gastarbeiter“-Spross und später nach der Rückkehr nach Deutschland den Heraus gestellt habe, hoffe sie, dass ihre Kinder sich für Perspektiven hierzulande entscheiden werden. „Meine Tochter geht jetzt erst mal wieder zur Universität, ich bezahle ihr das“, erzählt Amanetidou.

„Ich komme mit Freude her“
„Ich brauche das“, sagt Eva Amanetidou über den engen Kontakt zu den Kunden, die sie stets mit ihrer typisch herzlichen Art empfängt.

Es muss irgendwie weitergehen. Selbst ist die Okriftelerin froh über die Chancen, die sie in Deutschland erhielt. Dementsprechend pflichtbewusst geht sie ihrer Arbeit beim echten Bäcker nach. Wenn sie – wie meistens – die Frühschicht in dem kleinen Laden in der Rheinstraße, gelegen im örtlichen Rewe-Markt, übernimmt, ist sie bereits um halb sechs da. Dann werden Brötchen und Baguettes gebacken, die Theke eingeräumt und Kuchen angeschnitten. Um sieben Uhr öffnet sie die Tür. Im Laden steht sie stets allein, übernimmt jedoch, wenn mal eine Kollegin ausfällt, sogar zusätzlich die Spätschicht von 14 bis 21 Uhr. „Aber ich schaff‘ das schon“, betont sie lachend.

Auszeit

Und doch braucht Eva Amanetidou hin und wieder eine Auszeit. Wenn sie mal frei hat, geht die Wahl-Hessin gerne wandern. Dabei genießt sie Spaziergänge durch die Natur oder zum Main-Ufer. „Wir haben hier so schön e Strecken. Ich brauche das einfach unter der Woche.“ Am Wochenende trifft sie sich gerne mit einer Freundin. Dann wird gemeinsam gekocht. „Sie deutsch, ich griechisch.“ Deutsche Speisen schmeckten ihr gut, zubereiten könne sie diese aber nicht. „Außer Schnitzel“, lacht die 58-Jährige. Zu ihren Lieblingsprodukten des echten Bäckers gehören neben der „Müsli-Power-Stange“ die mit Weizenmehl hergestellten „Hüthchen“. „Wir Griechen haben eben mehr Weizen als Roggen“, begründet sie schmunzelnd ihre Vorliebe. Und doch will sie immer aufgeschlossen bleiben. So sollen auch andere sie stets nur als Person wahrnehmen: „Nicht als Griechin oder als Verkäuferin – ich bin ein ganz normaler Mensch.“

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Huth-Mitarbeiterin Eva Amanetidou genießt den Umgang mit Menschen und Backwaren

Rückkehr

Bei Huth will die freundliche Mitarbeiterin mindestens bis zu ihrem 65. Lebensjahr bleiben.Doch ihr Herz hängt noch immer an der hellenischen Republik. Irgendwann, sinniert Eva Amanetidou, möchte sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Als Rentnerin vielleicht. Einen Vorgeschmack darauf bekommt sie im nächsten Sommerurlaub, wenn sie ihre Kinder und ihre Eltern besucht. „Aber jetzt bin ich in Deutschland“, fügt sie ganz bewusst hinzu. Denn noch hänge sie viel zu sehr an Okriftel und ihrer Arbeit beim echten Bäcker. „Mein Leben gefällt mir hier. Ich bin glücklich.“

Quelle: Zeit für Brot (Ausgabe 9) – Text von Andra de Wit