Julia will es langsam

Julia will es langsamDer feine Butter-Ei-Teig ist die eigentliche Sensation der neuen „Lutherrose“

Fest steht, dass das Jahr 2017 in der Evangelischen Kirche „dick“ als Jubiläum zelebriert wurde. Wissenschaftlich gesichert gilt, dass es am 31. Oktober 500 Jahre zurücklag, seit Reformator Martin Luther seine 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche anschlug. Inwieweit die in Sachsen alljährlich im Oktober üblichen „Reformationsbrötchen“ mit der neuen „Lutherrose“ des echten Bäckers verwandt sind, ist allerdings schon nicht mehr so eindeutig zu beantworten. Denn bereits die Entstehungsgeschichte der angeblich in Anlehnung an das Luther‘sche Siegel einst im Osten erfundenen Hefebrötchen ist ungewiss. Dafür ist etwas anderes sehr sicher: Alleine der feine Butter-Ei-Teig der neuen „Lutherrose“ ist sensationell lecker!

Teigmacherin Julia Heimann wuchtet eine schwere Milchkanne heran. Bio-Vollmilch vom nahen Harvesterhof befindet sich darin, die Bäckerin schüttet sie in den Kessel ihres Teigkneters. „Außerdem kommen Mehl, Ei, etwas Hefe, Zucker, Salz und gute Butter hinzu“, verrät sie die Rezeptur – und stellt den Teigkneter an.

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Julia Heimann schüttet Bio-Vollmilch vom nahen Harvesterhof in den Kessel – eine besonders hochwertige Zutat für den Butter-Ei-Teig.

Temperatur
Immer wieder prüft Julia Heimann anschließend durch Auflegen der flachen Hand auf den silbernen, sich drehenden Kessel, wir stark er sich – und mit ihm der Teig – erwärmt. Die fleißige Mitarbeiterin der Meisterbackstube Huth bringt plötzlich eine große Schaufel Eis heran und füllt es zu den Teigzutaten in den Kessel. „Sonst wird der zu warm“, erklärt sie knapp. „Über 26, 27 Grad darf er nicht kommen – andernfalls bekommt die Hefe zu viel Wärme ab, und wenn wir den Teig dann später in die Aromazelle schieben, wo er bei kontrollierter Temperatur und Luftfeuchtigkeit alle Zeit bekommt, die er zum Ausbilden seines natürlichen Aromas benötigt, entwickelt er sich nicht mehr so, wie wir es wollen“, ergänzt die Fachfrau. „Langsam“ wolle sie es, der fein-aromatische Geschmack im Hefeteig, die zarte Note von Butter und Ei, solle sich vollständig ausbilden können, ehe der Teig zur „Lutherrose“ geformt und gefüllt wird, anschließend in den Backofen kommt.

2017 ist wegen des 500 Jahre zurückliegenden Thesenanschlags als „Lutherjahr“ ausgerufen worden; unzählige Filme, Fernsehdokumentationen, Bücher und anderes mehr schwimmen auf der Gedenk- Welle. Selbst der Verkehrsverein Limburg bietet Luther- Führungen an, wenngleich Martin Luther selbst nie in der Stadt an der Lahn war. Die Reformation allerdings hat in Limburg ebenso Fuß gefasst Die Reformationsbrötchen in Sachsen gab es hingegen, vom Jubiläumsjahr losgelöst, selbst zu (atheistischen) DDR-Zeiten und zuvor. Es existieren, spricht man mit dortigen Bäckern, im östlichsten Bundesland viele Erzählungen und Geschichten, warum Reformationsbrötchen so aussehen, wie sie aussehen und überhaupt gebacken werden. Eine besagt, dass sie eine „Lutherrose“ des Reformators symbolisieren; mit der siegelte er seine Schriften zum Beweis der Echtheitstets ab. Allerdings hatte das Symbol im Original fünf Spitzen, anders als die sächsischen Brötchen mit vier. In der Schrift „Gebäck aus Deutschen Gauen“, die der Reichsinnungsverband des Bäckerhandwerks 1936 in Berlin herausgab, heißt es hingegen, dass die vier Spitzen den vier Mitstreitern Luthers gewidmet seien.

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Doreen Schülke drückt das Muster der Rose einzeln von Hand in die rundgeformten Teigstücke, die bereits eine Nacht „alt“ sind.

Verkaufsidee
Im „Amtsblatt der Großen Kreisstadt Grimma“ (Ausgabe 13/2013) allerdings wird der „religiöse Bezug“ komplett in Frage gestellt: Danach sei es lediglich ein Leipziger Bäckermeister gewesen, der die Lutherrose einfach als grafische Vorlage für seine Verkaufsidee „Reformationsbrötchen“ wählte, die sich blendend absetzen ließen, nachdem die Obrigkeit sie zunächst verboten hatte. Im besagten Amtsblatt schreibt der in Döben geborene Heimatforscher Rudolf Priemer: „Die Tradition der Reformationsbrötchen lebt seitdem ungebrochen, auch während der beiden Weltkriege wurde sie kaum unterbrochen, und in der DDR buken die traditionsbewussten Grimmaer Bäcker immer Reformationsbrötchen.“ Tja, und ob die Reformationsbrötchen nun wirklich das Luther‘sche Siegel darstellen? Oder, so noch eine andere Theorie, sich aus dem katholischen Martinshörnchen entwickelt haben, das schon vor der Reformation seinen Weg aus dem Rheinland gen Osten fand?

Vortags-Teig
Das weiß Doreen Schülke auch nicht aufzuklären. Dafür kennt die Huth-Konditorin sich perfekt mit der neuen „Lutherrose“ des echten Bäckers aus: „Den Teig, den Julia macht, backen wir niemals in derselben Nacht“, erklärt die Fachfrau. Stattdessen lagere und reife er grundsätzlich bis zur folgenden Nacht in der „Aromazelle“ – nichts anderes als ein Kühlraum, in dem außerdem die Luftfeuchtigkeit reguliert wird. „Dann erst hat sich im Butter- Ei-Teig der Geschmack entwickelt, den wir völlig ohne Zusätze, Synthetik-Aromen und anderes erreichen wollen“, sagt die Konditorin und holt ein Blech heran. Darauf liegen bereits rund geformte Stücke des „alten“, gereiften Vortags-Teigs.

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Dann gibt es für jede „Lutherrose“ einen üppigen Klecks der selbstgekochten Kirschfüllung. Fotos: Schmalenbach

Behutsam drückt Doreen nun das Muster hinein, das die Rose Luthers darstellt. In jede einzelne „Lutherrose“ – „Handwerk“ wird hier in der Backstube und Konditorei am Schlag in Limburg restlos wörtlich genommen. Dann wird es fruchtig: Für die Füllung kocht Doreen Schülke Kirschen mit etwas Kirschsaft auf, statt chemischer Festigungsstoffe gibt sie einfach etwas völlig natürliche Weizenstärke hinein; „funktioniert genauso gut, ist aber zusatzstoffefrei!“ Als kleinen Kniff fügt sie wenig Zucker und Zimt zu – fertig ist die Füllung, die sie im Anschluss – wieder von Hand auf jede „Lutherrose“ einzeln – mit einem Spritzbeutel aufträgt. Nach dem Backen duftet es sehr lecker, dezent nach einer Hefenote, vor allem aber nach Butter. Mag das „Lutherjahr“ auch bald schon wieder zu Ende gehen: Das Reformationsfest steht ja jedes Jahr im Kalender, und so sind die Chancen vielleicht gar nicht so schlecht, dass die köstliche Huth-„Lutherrose“ auch dieses Jahr wieder im Nassauer Land zu genießen sein könnte. Vorest ist sie es.

Text: Yvonne-Ina Feldger