Gereift und geflockt

Ein „Kochstück“ hält Vollkornbrot „Ährengold“ lange frisch
Bei der Bäckerei Huth entstehen die Brote Nacht für Nacht noch in echter Handarbeit. Hier Teigmacherin Julia Heimann bei der Arbeit. Fotos: Uwe Schmalenbach

In der Backstube des echten Bäckers entstehen die Brote Nacht für Nacht noch in echter Handarbeit. Technische Hilfsmittel gibt es – zum Glück – heutzutage dennoch: Kohlesäcke schleppen, um die Öfen befeuern zu können, muss kein Huth-Mitarbeiter mehr wie vor hundert Jahren. Das Weizen- und Roggenmehl kommt, motorisch auf Knopfdruck, aus der Siloanlage; die Rücken der Bäcker werden sich freuen. Fürs „Ährengold“ jedoch muss Teigmacherin Julia Heimann doch noch einmal Säcke wuchten: „Dafür“, sagt sie, „brauchen wir nämlich Bio-Roggenvollkornmehl und Bio-Roggenvollkornschrot.“ Es staubt mächtig, als Julia den Inhalt der Papiersäcke in den Knetkessel rieseln lässt.

Es gibt Huth-Kunden, die berichten, dass sie ihr „Ährengold“ zwei Wochen lang im Brotkasten aufbewahrt – und mit Genuss davon gegessen hätten, ohne dass das kräftige, ballaststoffreiche Brot altbacken geworden wäre! Martin Wingenbach, Backstubenleiter in Limburg, lächelt wissend: „Das hängt sehr wesentlich mit dem ‚Kochstück‘ zusammen!“ Fürs Kochstück, so der Bäckermeister, werden ganze Roggenkörner und die im „Ährengold“ verwendeten Sonnenblumenkerne mit kochendem Wasser vermischt (daher die Bezeichnung) und bleiben bis zum nächsten Tag stehen. „Durch das Kochstück kann das spätere Vollkornbrot besser das Wasser im Teig binden, was der Grund für die besonders gute Frischhaltung ist. Außerdem werden durch die lange Zeit, während der sich das Kochstück entwickelt, aromawirksame Verbindungen gebildet“, verdeutlicht Wingenbach.

Wasserbindung

Ein „Kochstück“ hält Vollkornbrot „Ährengold“ lange frisch
Johannes Klee wälzt das „Ährengold“ in Roggenflocken, die selbst geflockt sind.

Die hohe Wasserbindung ergebe zudem ein tolles Mundgefühl beim Biss in die Krume. „Tatsächlich kann das ‚Kochstück‘ das Vier- bis Sechsfache des Eigengewichts des Roggens an Wasser aufnehmen.“ Faszinierend, wie die Bäcker in der Backstube am Schlag natürliche Eigenschaften des Getreides nutzen, um das Bio-„Ährengold“ ohne chemische Zusätze länger frisch zu machen. Zum Roggenvollkornschrot und -mehl hat Julia Heimann inzwischen nicht nur die besagten gekochten Roggenkörner und Sonnenblumenkerne gegeben, sondern auch Salz, Wasser, Zuckerrübensirup – und vor allen Dingen einen hauseigenen Bio-Vollkorn-Natursauerteig. Dieser sorgt für Lockerung und seinerseits für viel Geschmack. „Darum schütten wir den Zuckerrübensirup zu“, erklärt Fachfrau Julia. „So bekommt man ein reizvolles Wechselspiel aus einer dezent säuerlichen Note des Sauerteigs und einer milden Süße – lecker.“

Während die Teigmacherin das erläutert, stellt sie den Kneter an. Der silberne Kessel mit den Zutaten beginnt sich stoisch zu drehen. „Hefe ist jetzt beim ‚ersten Lauf‘ noch nicht drin“, ergänzt Julia Heimann und legt ihre rechte Hand an den Kessel: sie will die Teigtemperatur fühlen. Die sei eine der wichtigsten Komponenten für den perfekten „Ährengold“-Teig. Nach dem ersten Lauf lässt die Bäckerin den Kessel eine ganze Weile in der Backstube stehen und kümmert sich um andere Teige, für „Hütchen“ etwa: Während dieser Phase bekommen die Zutaten im Teig Gelegenheit, zu quellen – wiederum eine geschmacksbildende Maßnahme auf ganz natürliche Weise. Erst nach dieser Zeit setzt Julia Heimann dem Gemisch auch noch Hefe zu und lässt den Kneter erneut laufen – enorm, welcher Aufwand für den Teig betrieben wird. So erahnt man, warum das „Ährengold“ so viele Fans gewinnen konnte.

Johannes Klee wälzt das „Ährengold“ in Roggenflocken, die selbst geflockt sind.
So rustikal, wie das Bio-„Ährengold“ aussieht, so kräftig ist sein Geschmack.

Gewonnen hat es inzwischen ebenfalls schon vielfach eine Auszeichnung der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft). Kein Wunder, denn nicht nur die Bio-Zutaten und handwerklichen Kniffe wie der mit dem Kochstück stecken im Erfolgsbrot. Sondern ebenso viel mehr Zeit, als es in einer industriellen Fertigung möglich wäre: Abhängig von Raum- und Teigtemperatur, reife ein „Ährengold“- Laib nach dem Aufarbeiten weitere 45 bis 60 Minuten im „Gärschrank“, einer Zelle, in der kontrollierte Luftfeuchte und Temperatur für noch mehr Aromabildung sorgen. Die Aufbereitungszeit ab jenem Moment, zu dem Julia Heimann den Kneter gestartet hatte, belaufe sich auf drei Stunden. „Und der Natursauerteig reift zuvor sogar 18 bis 20 Stunden“, betont Martin Wingenbach. Ehe die rohen Laibe in den Gärschrank kommen, ist Johannes Klee noch dran gewesen. Der Bäckergeselle (siehe Seite 8) hat in dieser Nacht die besagte Aufarbeitung übernommen. Die in ihre Form gebrachten Teigstücke hat er sehr behutsam in Roggenflocken gewälzt: „Man muss das sehr vorsichtig machen, der Teig ist super weich.“ Und die Flocken sind ebenfalls eine Besonderheit des „Ährengolds“. Sie sind in der Bäckerei Huth aus ganzen Roggenkörnern selbst geflockt worden. „So kann man die Getreidequalität besser beurteilen als wenn man sich fertige Flocken liefern lässt“, begründet Martin Wingenbach den Aufwand.

Ofentrieb

Ein „Kochstück“ hält Vollkornbrot „Ährengold“ lange frisch
Jeroen Catry (rechts) stürzt die heißen Laibe aus ihren Kastenformen. Backstubenleiter Wingenbach ist mit dem Ergebnis zufrieden.

Die in den Flocken gewälzten Brote gibt Johannes Klee sorgsam in Kastenformen. Es bleibe bis zu deren oberem Rand „ein Finger breit Luft, damit noch Platz ist für den Ofentrieb.“ Klar: Das Brot geht beim Backen auf! Gebacken werden die „Ährengold“-Bio-Brote jedoch erst nach besagter Reifung im Gärschrank. In ihren Kastenformen, die oben mit Deckeln verschlossen werden, werden sie in einem „Stikken-Wagen“ in den Ofen gerollt. Darin dreht sich der Wagen, damit die Hitze die Brote an jeder Stelle gleichmäßig erreicht. Es piept, eine rote Lampe am Ofen blinkt: Das Zeichen, dass die „Ährengold“ eigentlich fertig wären. „Eigentlich“. Martin Wingenbach schaut sich die Brote an und gibt zehn Minuten Backzeit hinzu. Nun soll das mit so viel Aufwand bei der Teigbereitung und Aufarbeitung hergestellte Bio-Vollkorn-Brot wirklich perfekt werden. „Die Zeit muss man anpassen, in Abhängigkeit vom Roggenvollkornschrot“, verrät der Backstubenleiter.

Anschließend ist Jeroen Catry an der Reihe: Er hat sich mit dicken, hitzefesten Handschuhen „bewaffnet“ und stürzt die frischen „Ährengold“ aus den Kästen in Brotkörbe zum Auskühlen. Den Duft kann man nicht in Worte fassen, aber er weckt Vorfreude auf genau jenen vom Wechselspiel aus leichter Säure und milder Süße bestimmten Geschmack, den Julia Heimann beschrieben hatte.

Quelle: Zeit für Brot Ausgabe 9. Text und Fotos: Uwe Schmallenbach