Der Grusel aus Offheim

„Pinocchio ‘90“ lädt zum besonderen Dinner und einer speziellen Gala

Alice im Wunderland“, „Aida“, „Sister Act“: Im Sitzungszimmerhängen diverse gerahmte Plakate an den Wänden, erinnern an vergangene Musical-Produktionen des gemeinnützigen Vereins. „Wir würden in diesem Raum natürlich auch gerne malwieder Sitzungen abhalten“, lacht Peter Kirchberg, der Ehrenvorsitzende von „Pinocchio ‘90“. Tatsächlich: In diesem, wie eigentlich in jedem Raum des Vereinsheims in Limburg-Offheim, ist es echt voll: Requisiten, Kostüme, Perücken, Verstärker, Beleuchtungstechnik – ein riesiger Fundus bringt das Gebäude an seine Kapazitätsgrenzen. Es sind quasi die Spuren von viel Kreativität und noch mehr Engagement. Die Laientruppe ist einfach sehr, sehr eifrig, erfreut immer wieder mit neuen Ideen – so wie in diesem Oktober: „Grusical“ ist das Motto, wenn am 20. und 21. des Monats die Scheinwerfer in der Stadthalle Hadamar auffunkeln.

„Der Glöckner von Notre Dame“, „Phantom der Oper“, „Jekyll & Hyde“, „Rocky Horror Show“, „Addams Family“: Es gibt doch eine Menge mehr Musicals, die „gruselige“ Elemente aufweisen, als einem zunächst einfallen mögen. „An den beiden Wochenenden vor Halloween führen wir Szenen daraus auf. Einmal in Hadamar, die Woche darauf im zu Selters gehörenden Ortsteil Eisenbach“, erläutert Peter Kirchberg. Doch das passiere, so der Ehrenvorsitzende von „Pinocchio‘90“, in einem besonderen Rahmen: Am 20. Oktober lädt der Verein in der Stadthalle Hadamar zum „Grusicaldinner“ ein. Nach einem Sektempfang erwartet die Gäste ein Vier-Gänge-Menü – und natürlich eine Reihe von Ausschnitten beliebter und bekannter, „gruseliger“ Musicals. Tags darauf (wie auch am 28. Oktober in Eisenbach) werden etwa 30 Darsteller des Vereins abermals Musik, Show, Tanz bieten – und das Publikum mit einer Musicalgala das „Fürchten“ lehren…

„Das Phantom der Oper“ schaut ebenfalls in Hadamar und Eisenbach rein…
Fotos: Schmalenbach

Es liegt schon eine Weile zurück: 2019 gab es in der inzwischen 33-jährigen Vereinsgeschichte von „Pinocchio ‘90“ zuletzt eine große Produktion. „SHREK“ lief zunächst zehnmal vor jeweils ausverkauftem Haus und begeisterte die Menschen im Saal (die „Zeit für Brot“ berichtete). Danach geplante Events fielen einstweilen Corona und den weitreichenden Beschränkungen von Kunst und Kultur zum Opfer; auch die Geschichte um den grünen Oger, sie hätte 2020 weiterlaufen sollen. Es dauerte allerdings noch bis 2022, ehe das wieder möglichwurde und „SHREK“ weitere sechs Male zu sehen war.

2023 führte das Kinderensemble von „Pinocchio ‘90“ bisher fünfmal das Musical „Eule findet den Beat“ auf, gleichwohl fanden sich Musicalgalas oder auch -dinner in den zurückliegenden Jahren ebenso vielfach im Kalender der Theatergruppe wie Konzerte und kürzere Auftritte bei Festen und Feiern.

„Wir haben früher unter verschiedenen Mottos Galas gemacht“, bestätigt Peter Kirchberg. Dabei habe es immer schon den Gedanken gegeben, etwas zur „Rocky Horror Show“ oder „Addams Family“ auf die Bühne zu bringen. „Vielleicht machen wir ‚Addams Family‘ irgendwann auch noch als komplettes Musical“, das sei denkbar, erklärt er. „Von der Fantasie her ja. Wir müssen halt einfach gucken: Wir haben mindestens 40, 45 Aktive in dieser Altersklasse, die auf der Bühne stehen wollen.“ Ein so großes Ensemble erfordere passende Stoffe. „Wenn man sich ‚typische‘ Musicals ansieht, da ist maximal ein Dutzend Leute auf der Bühne“, gibt Kirchberg zubedenken.

Eigentlich ist dieser Raum im Vereinsheim ein Sitzungszimmer…

Denn „Pinocchio ‘90“ hat ein „positives Problem“, wie es der Ehrenvorsitzende formuliert: Mitmachen in der Vereinigung ist begehrt, alles in allem gibt es (sämtliche Altersklassen zusammengenommen) sicherlich 90 bis 100 Aktive und unter den über 230 Mitgliedern zudem etliche hinter den Kulissen, so dass zwischenzeitlich schon ein Aufnahmestopp im Kinderbereich greifen musste, wohingegen andere Vereine der Region Nachwuchssorgen haben.

Dabei war der Anlass zur Gründung von „Pinocchio ‘90“ eher traurig: 1990, in der Nachwendezeit, kam es in den letzten Tagen der DDR zu widerwärtigen, fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda. Ein zugewanderter Italiener organisierte in der italienischen Kirchengemeinde Limburg derweil die Initiative „Kinder dieser Welt“ als eine Art Gegenpol. Sie sollte verschiedene Gruppen in der Bevölkerung einen, indem sie Kindern und Jugendlichen die Bedeutung von Vielfalt, von Internationalität vermittelte. So wurde im Rahmen von „Kinder dieser Welt“ das Märchen „Pinocchio“ aufgeführt. Da man seinerzeit das Jahr 1990 schrieb, war der Name für den im Anschluss daran gegründeten Verein „Pinocchio‘90“ gefunden.

Der hat seinen Sitz eigentlich in Elz. Doch der Landwirt Peter Sehr legte in seinem Testament fest, dass sein 1690 erbautes „Dreiseitgehöft“ in eine Stiftung überführt werde. Der Fachwerkbau ist ein geschütztes Kulturdenkmal. „Pinocchio ‘90“konnte hier im Herbst 1996 einziehen und hat viel Eigenleistung in dessen Renovierung investiert. Seither nutzt die Vereinigung das Vereinsheim im Limburger Stadtteil Offheim.

Ylenia Weigl tanzt, ist in der Maske und bei den Kostümen aktiv und auch beim „Grusical“ auf der Bühne. Der Probenraum muss längst als Kleiderkammer und improvisierte Garderobe herhalten.

Nicht weit von dort entfernt liegt die Backstube des echten Bäckers Huth. Der Handwerksbetrieb sponsert seit 2019 die sozio-kulturelle Arbeit von „Pinocchio‘90“, bei der Grenzen wie Nationalitäten, Alter oder unterschiedliche Talente überwunden werden sollen. Gemeinsame Kreativität ist der Schlüssel, wer sich singend oder tanzend auf der Bühne weniger wohl fühlt, engagiert sich beim Bühnenbild, beim Bereitstellen und Pflegen der Requisiten oder hilft, Technik auf- und abzubauen.

Auswahl

Gleichwohl muss bei der Auswahl der Stücke ein gewisser Frauenüberschuss berücksichtigt werden: „Bei ‚Aida‘ hast du fünf männliche Hauptrollen, die musst du erstmal finden, in der Regel auch doppelt besetzt. Danach müssen wir ein Stück weitgucken. Eine ganze Reihe Musicals können wir nicht spielen – wie ‚West Side Story‘, in der zwei Jungen-Gangs vorkommen, da brauchst du von vornherein mindestens ein Dutzend männliche Jugendliche, die toll tanzen und auch einigermaßen singen können“, verdeutlicht der Ehrenvorsitzende.

Die Anforderungen an die Darsteller würden zugleich immer professioneller, „auch dadurch, was sie sich selbst als Ziel setzen. Aber ich glaube, dazwischen ist ebenfalls Zeit, den familiären Charakter unseres Vereins zu bewahren oder einfach nur mal zusammen zu feiern. Es darf nichts unter Druck entstehen!“, ergänzt Iolanda Ianniello-Weigl, die unter anderem als Kassenwartin in der Gemeinschaft mitmacht.

Erwartung

„Wenngleich wir ein Amateurverein sind: Keiner hier kann mehr etwas schlampig machen – die Leute erwarten inzwischen ein gewisses Niveau, wenn sie uns engagieren“, fügen Peter Kirchberg und Heinz Schetter (er kümmert sich ums Vereinsheim wie ums Bühnenbild) hinzu, „wir lassen natürlich nicht jeden ein Solo singen… Aber wenn jemand bei uns mitmachen will, kann er mitmachen – dann ist er eben Komparse, im Chor oder backstage fleißig. Wir brauchen Techniker, Fotografen, Schneider, Leute für die Maske – die Möglichkeiten bestehen komplett. Der beste unserer Darsteller ist immer auf Augenhöhe mit dem, der sein Talent im Kulissenschieben hat.

In den zurückliegenden 33 Jahren habe der Verein 300.000 Zuschauer unterhalten, berichten Iolanda Ianniello-Weigl und Peter Kirchberg.

“Draußen, vor dem mit Requisiten und Kostümen vollgestopften Vereinsheim in Offheim, beißt Thorsten Müller als „Graf von Krolock“ unterdessen die schöne Sarah (Lotte Stegmann), die er mit allen Mitteln zur Unsterblichkeit verführen will, in den Hals – zum Glück nur angedeutet und mit Plastikzähnen. Aber ein bisschen gruselig ist die Szene aus „Tanz der Vampire“ schon – so wie in Kürze die Abende in der Stadthalle Hadamar und beim Turnverein „Frisch Auf“ 1895 e .V. Eisenbach.

Uwe Schmalenbach

 

(Karten gibt es über www.pinocchio90.de, die Stadthalle Hadamar (0 64 33/30 65) und beim Turnverein Eisenbach (info@tv-eisenbach.de). Das „Grusicaldinner“ am 20. Oktober kostet 65 Euro je Person, der Eintrittspreis für die Musicalgala am 21. und 28. beträgt 20 Euro.)